Der Antitürke by Somuncu Serdar

Der Antitürke by Somuncu Serdar

Autor:Somuncu, Serdar
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Belletristik/Comic, Cartoon, Humor, Satire/Humor, Satire, Kabarett
Herausgeber: Rowohlt E-Book
veröffentlicht: 2015-06-06T16:00:00+00:00


Die Europafrage

Der EU-Beitritt der Türkei wird immer wieder gern genutzt, um Angst zu schüren. Gibt man dem Türken den kleinen Assoziationsfinger, so will er gleich die ganze Beitrittshand. Aber auch das stimmt nicht, denn den Türken wird seit mehr als vierzig Jahren versprochen, dass sie eines Tages Mitglied der EU werden würden. Es besteht sogar seit 1966 ein Assoziationsabkommen zwischen der Europäischen Union und der Türkei, in dem als ausdrückliches Ziel der Beitritt der Türkei genannt wird. Immer wieder haben die wechselnden Regierungen in Europa dieses Thema zum Mittelpunkt ihrer parteitaktischen Argumentationen gemacht, ihre Versprechen gebrochen und gegen einen Beitritt der Türkei polemisiert. Sogar Polen, das zu Zeiten des Kalten Krieges besonders von der liberalen Außenpolitik der Türkei profitiert hat und eigentlich allein schon aus einer historischen Verpflichtung heraus Befürworter eines Beitritts sein müsste, schloss sich, kaum war es selbst EU-Mitglied, dieser antitürkischen Panikmache an und stimmte vehement gegen eine Mitgliedschaft der Türkei, während ehemalige Ostblockstaaten wie Rumänien, Bulgarien oder die baltischen Staaten mit offenen Armen aufgenommen wurden, obwohl ihre Entwicklung in den letzten Jahren berechtigten Zweifel daran lässt, dass dort wirkliche Demokratien entstanden sind.

Mittlerweile wurde die Europäische Union dermaßen erweitert, dass es tatsächlich aus türkischer und europäischer Sicht schon keinen Sinn mehr macht, die Türkei aufzunehmen. Dennoch hat man durch die undurchsichtige und verlogene Türkeipolitik in Europa die Menschen in der Türkei verprellt und sie in die Arme der Fundamentalisten getrieben und die in Europa lebenden Türken lange Zeit ausgenutzt, ohne sie wirklich anzuerkennen.

Dieser kapitale Fehler im Umgang mit den vor allem in Deutschland lebenden Türken wird in den letzten Jahren, besonders seitdem die islamisch-fundamentalistische AKP unter Premierminister Tayyip Erdogan an der Macht ist, zunehmend revidiert, denn aus der ideologischen Unbedarftheit der in Europa lebenden türkischen Gastarbeiterschicht ist eine unberechenbare Kraft geworden, die sich nicht zuletzt auch die türkische Regierung geschickt zunutze machen möchte. Aus den ehemals anonymen Gastarbeitern, die gekommen waren, um schnellstmöglich Geld zu verdienen und dann wieder in die Heimat zurückzukehren, sind spannende Charaktere und erfolgreiche Unternehmer, Politiker und Künstler geworden, die mit ihrer Arbeit eher zur wirtschaftlich-künstlerischen Bereicherung der deutschen als der türkischen Gesellschaft beitragen. Für sie ist eine Rückkehr in die Türkei nahezu unvorstellbar geworden. Viele haben sich in ihrer deutsch-türkischen Doppelidentität schon längst gefunden und fühlen sich in Deutschland heimischer als in der Türkei. Damit wendet sich die bisher als selbstverständlich vorausgesetzte Treue der Türken zu ihrer türkischen Heimat ins Gegenteil, und die Deutschtürken fangen an, der Türkei im wahrsten Sinne des Wortes fremdzugehen. Vielleicht auch deshalb werden die Bemühungen der türkischen Politik um die Gunst ihrer verlorengegangenen Landsleute in letzter Zeit immer intensiver. Zum ersten Mal gibt eine türkische Regierung ihren in Europa lebenden Staatsbürgern das Gefühl, sich um sie zu kümmern.

Der türkische Ministerpräsident Erdogan kommt zum Staatsbesuch nach Deutschland, sonst eher eine Formalität auf höchster politischer Ebene, und hält in der ausverkauften Kölnarena eine fanatische Rede zum Thema Assimilation und Integration, die in den darauffolgenden Tagen und Wochen die deutsche Öffentlichkeit nicht zur Ruhe kommen lässt. Schließlich gibt Erdogan seinen größtenteils



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